30.11.2018

wabi-sabi – ignoriere perfektion!

wabi-sabi ist eine japanische philosophie (nein: kein rettich!), die menschen auf der ganzen welt inspiriert – und dabei vieles, an das wir bislang glaubten, infrage stellt.

wabi-sabi pflanzen

Perfektion ist ein fieses Ding. Auf der einen Seite wollen wir sie – oder glauben, sie zu wollen, weil uns der aktuelle Zeitgeist suggeriert, dass unser Leben ein einziger Wettlauf ist. Ein Wettlauf um Schönheit, Erfolg und Kreativität. Um Anerkennung, Follower und Likes. Eine Arbeit für den Broterwerb, vier Wände und gesunde, glückliche Kinder zu haben, reicht da nicht mehr – wer auf Instagram will das schließlich schon sehen? Nein, wir wollen beneidete Karrieremenschen, bewunderte Superhelden-Eltern und inspirierende Trendsetter sein. 

Den Makel feiern

Auf der anderen Seite sind wir ganz schön müde von diesem nicht enden wollenden Wettkampf und uns dämmert immer mehr: Perfektion ist der heilige Gral der Neuzeit. Alle wollen dieses scheinbar höchste Gut, jagen ihm hinterher, aber niemand erlangt es, weil es letztendlich eine Fiktion ist. Was ist überhaupt „perfekt“? Das Haar in der Suppe finden wir eigentlich überall und das Gras ist auf der anderen Seite ohnehin immer grüner. Es ist daher mehr als Zeit, das Unperfekte nicht nur zu akzeptieren, sondern lieben zu lernen, den Makel zu feiern und Unvollkommenheit als Chance zu begreifen, die uns unendliche Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet.

Stille und Einfachheit

Und genau hier setzt wabi-sabi, ein japanisches Konzept der Wahrnehmung von Schönheit, an. Anstatt den Superlativ zu suchen, besinnt sich wabi-sabi zurück auf das Wesentliche. Die erste Wortsilbe „wabi“, die ursprünglich „elend“ und „einsam“ bedeutete, wandelte sich passend dazu zu einem harmonischen „allein“ – alles ist eins. Die zweite Wortsilbe „sabi“, das für „alt sein“ steht, erinnert an die Schönheit von bereits Bestehendem. Zusammengenommen sucht wabi-sabi also das Schöne, gerade dort, wo es auf den ersten Blick nicht vermutet wird: in der Einsamkeit, in der Reduktion auf das Wesentliche, im Makel und im von der Zeit Gezeichneten. 

ignoriere perfektion

Poetischer Purismus

Permanenter und vor allem wahlloser Konsum, der letztendlich nur eine seelenlose Anhäufung von Materiellem bedeutet, ist wabi-sabi folglich fremd. Vielmehr wird Altes wertgeschätzt, selbst dann, wenn der Zahn der Zeit am ursprünglichen Antlitz genagt hat. „Halte die Dinge klar und sauber, aber lasse sie nicht steril wirken“, fasst der US-amerikanische Schriftsteller P. Powell diese Form des Purismus zusammen. Da das Lebenskonzept starke bildliche Assoziationen in uns hervorruft, hat sich wabi-sabi ganz besonders im Interior Design einen Namen gemacht. Doch wabi-sabi ist überall, wir müssen unseren Blick dafür nur schärfen – und unser möglicherweise eng gefasstes Verständnis von Ästhetik aufbrechen.

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